Nähe gegen Ferne

 

 

Natura morta

 

Zu den Papierschnitten von Robert Stieve

 

 

Robert Stieve ist Bildhauer. Und wie ein Bildhauer geht er auch bei seinen Arbeiten auf Papier vor. Indem er Material wegnimmt, durch Schneiden, Ritzen und Schaben, erzeugt er Papierschnitte und Grattagen.

Auf ein speziell präpariertes und geschwärztes Papier überträgt er mittels Zahnspachteln oder Sägeblättern einen Abrieb des Reliefs von gesammelten und ausgelegten Zweigen und Pflanzen. In mehreren Teilschritten entsteht eine Grattage, deren grafischen Strukturen Robert Stieve dann mit dem Messer schneidend nachspürt, sie ordnet, verwirft oder neu erfindet.

Die fertigen Papierschnitte werden auf weiß lackierte Holzplatten aufgezogen

Und es entstehen Bilder von Naturräumen, als Ausschnitte meist zu klein, um Landschaftsbilder genannt zu werden..

Der weiße Grund wird zum hellen Himmel, vor dem sich scharf die Konturen der schwankend nach oben sprießenden Gräser abzeichnen. Die so entstehende stark räumliche Wirkung des klaren Schwarz-Weiß-Kontrastes erzeugt in Verbindung mit der Grattage-Technik bei den meisten Betrachtern den ersten Eindruck, ein fotografisch erzeugtes Bild vor sich zu haben. Durch diesen Effekt wird den Bildern eine Objektivität und Realität zugesprochen, die sich im Näherkommen als trügerisch erweist. Der fotorealistische Effekt verliert sich in der Konfrontation mit dem mechanisch bearbeiteten Papier und seiner zum Teil verletzten Oberfläche, den Schraffuren und den durch die Außenkanten der verwandten Werkzeuge entstandenen Arbeitsspuren

Eine Wechselspiel entsteht, zwischen der stark räumlichen Wirkung, die die Bilder entfalten und dem flächigen Schwarz / Weiß. Fülle und Leere. Die weiße Fläche, die von wachsenden schwarzen Flächen bedrängt zu werden scheint und so das Wachsen der Pflanzen spürbar werden lässt.. Die schwarze Fläche, die durch fortgesetztes Schaben und Abkratzen der Farbe wieder weiß würde und so den Kern ihres Verschwindens in sich trägt.

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Robert Stieve sucht in diesen Bildern bewusst das Unspektakuläre auf. Eher das Beiläufige in der Landschaft. Nicht das große Landschaftspanorama interessiert ihn,

Nicht der romantische Blick auf eine schöne erhabene Natur soll befriedigt werden, auch wenn sie als Sehnsuchtsort immer ein bisschen mitzuschwingen scheint.

 

Kontingenz und Kausalität, Willkür und Ordnung, die in den graphischen Strukturen aufscheinen, machen das chaotische Wachsen und Wuchern der Pflanzen spürbar. Eine Unübersichtlichkeit, die im Widerspruch steht zu der, durch die Beschränkung auf Schwarz und Weiß verstärkten, Einfachheit des Bildaufbaus.. Diese Ambivalenz zwischen Ordnung und Unordnung verweist, über das Motiv der wachsenden Pflanzen hinaus, auf den Zyklus der Natur, den Kreislauf von Werden und Vergehen. Im unübersichtlichen Kleinen erscheint die Idee eines wohlgeordneten, komplex organisierten, aber verletzlichen Ganzen. Die Natur erscheint als Subjekt, nicht nur als Objekt.

Und doch hinterliegt dieser Natürlichkeit ein künstliches Arrangieren gesammelter Zweige und Pflanzen im Atelier des Künstlers. Und die Titel der Arbeiten „natura morta“ oder „nature morte“ verweisen bereits darauf, dass es sich im Gegensatz zum Eindruck des Landschaftsbildes streng genommen um Stillleben handelt. Welche einladen, sich mit dem Natur- und Landschaftsbegriff auseinanderzusetzen, angesichts einer Umwelt, die durch und durch vom Menschen geprägt ist.

Die Bilder sind keine beschaulichen, friedlichen oder gar lieblichen Idyllen. Und doch wohnt ihnen etwas Idyllisches inne oder schwingt bei der Betrachtung mit

 

Nur selten greift Stieve in diesen Naturbildern zu weiteren Techniken als dem Papierschnitt und der Grattage.

Während die meisten der Arbeiten auf Papier auf realen, gesammelten Zweigen, Gräsern und anderen Pflanzen basieren und diese mit der Technik der Grattage im Maßstab 1:1 abbilden, erfindet Stieve im Bild „Weizenfeld“ noch einen hinter dem Feld liegenden Wald hinzu, dessen Laub er mit dem Messer schabend anschaulich macht. Oder er arbeitet einzelne Details weiter aus, wie im Bild „Gerste“ durch einkratzen bzw. Zeichnen der Grannen mit Messerspitze und Kugelschreiber.

Bilder, die in der Verwendung des Motivs der Ähren einen hohen Symbolgehalt haben. Ähren versinnbildlichen seit alters her Reichtum und Wohlstand als Folge reicher Ernteerträge und gelten auch als Symbol für Fruchtbarkeit. Doch Robert Stieves Getreidefeldern wohnt, verstärkt durch das Schwarz, auch etwas latent Bedrohliches inne. Ein Verweis auf unsere Abhängigkeit von den natürlichen Abläufen unsere Umwelt.

 

 

Den Binnenstrukturen und Details der Bilder ist eine Unbestimmtheit zu eigen, die mit der Unschärfe von Erinnerungsbildern korrespondiert. Und es sind auch Erinnerungen, die Robert Stieve den Anstoß zu seinen Bildfindungen geben. Die unbeschwerten Streifzüge durch die Natur als Kind. Im Gras zu liegen oder am Waldrand hockend Teil der Umgebung zu werden. Hier hat vielleicht auch der kontemplative Charakter der Bilder seinen Grund. Dem Reiz sich in der Betrachtung zu verlieren, im spielerischen Nachspüren der Pflanzen Blätter- und Gräserwelten Die Bilder rufen Eindrücke von Natur hervor, ohne Surrogat zu werden. Wenn man sich darauf einlässt vervollständigen sie sich im Kopf. Die Farben treten hinzu, das Sonnenlicht und das Summen der Insekten.